Feedback zu den BDR Talentwettbewerben

Am Turnfest hatte ich die Möglichkeit die vom BDR für den Breitensport entwickelten Talentwettbewerbe zu sehen und sie in Interaktion auch mit Einrad-Neulingen zu erleben. Im Prinzip sowas wie Skill-Levels, jedoch mit pädagogischem Hintergrund. Sie schalten sich schon eine Stufe vor den Skill-Levels ein besitzen aber auch überschneidende Inhalte. Der Zweck der Talentwettbewerbe soll jedoch den Einstieg in das Kürfahren darstellen. Die Talentwettbewerbe gliedern sich dabei in die Einrad-Olympiade (quasi die erste Stufe) gefolgt vom Talentwettbewerb 1 und 2. Nach BDR sollen diese Wettbewerbe an einem Tag in zelebrierter (?) Umgebung stattfinden, also nicht in der Trainings-Umbegung. Die Bögen der Talentwettbewerbe am Turnfest waren bereits ausgedruckt, auf der BDR Seite stehen Sie mit dem Muster Wasserzeichen bereit. Die Einsatzbereitschaft und Reifestatus ist also noch nicht ganz klar. Ich hatte Maren Schindeler-Grove am Turnfest Feedback dafür versprochen. Hier ist es. Wie üblich von mir öffentlich, für alle nachlesbar, ich wünsche mir Nachahmer.

Allgemein

Im Gegensatz zu den Skill-Levels, die im ersten Satz direkt ihren Zweck erklären, fehlt diese Einleitung gänzlich. Die Heranführung zur Vorbereitung auf das Küren fahren hatte ich nur mündlich erhalten.

Olympiade (gelb)

Finde ich eine ganz lustige Idee. Hatte ich 2005 auf der Einradköste erstmalig im großen Stil gesehen. Allerdings fehlt mir da ein bisschen der erklärende Hintergrund. Aus sportfachlicher Sicht handelt es sich dabei natürlich um koordinatives Variationstraining und ist auch von sportwissenschaftlicher Seite wärmstens empfohlen, egal für welche Könnensstufe. Worüber ich mich dabei ein wenig Sorge, dass Vereine bereits vorab genau diese Variationen aus dem Olympiade-Bogen trainieren, damit ihre Fahrer bei dem zelebrierten Ereignis gut abschneiden. Das würde die Idee des koordinativen Variationstrainings leider ad acta legen.

Talentwettbewerbe

Zu beiden Talentwettbewerben ist anzumerken, dass nur der ganze Trick betrachtet wird und ob der Fahrer oben bleibt, das „wie?“ der Bewegungsausführung, also das eigentlich interessante, wird völlig vernachlässigt und unter den Tisch gekehrt. Genau dort schleichen sich die ersten Bewegungsfehler ein, die nur von den wenigsten Trainern korrigiert werden. Selbst bei Topfahrern sieht man diese Fehler heute noch, die sich dort wiederum massiv auf die Bewegungsqualität auswirken. Hier wird die stumpfe und längst überholte Methode aus den Skill-Levels von `98 fortgesetzt. Das ist aber nur als vorsätzlicher Betrug an den Fahrern zu bewerten und ich habe dafür absolut kein Verständnis. Ich gehe jetzt für die einzelnen Talentwettbewerben auf die einzelnen Tricks dazu ein.

Talentwettbewerb 1 (rot)

Referenzblatt

Station 1:

  •  „Entlang einer Linie“. Das wiederholt sich in mehreren Tricks. Warum? Linie bedeutet der Fahrer senkt den Kopf um sich selbst das visuelle Feedback einzuholen, hier „richtig“ zu fahren. Dabei soll ja auch der Kopf horizontal sitzen und den Blick nach vorne behalten. Zuerst den Fahrern erlauben auf den Boden zu starren und später dann im Kürtraining vom Fahrer zu verlangen er soll hochschauen, während man die (3-4) Jahre zuvor die Automatismusausprägung zum gesenkten Kopf zugelassen hat?
    Der Hintergrund hierfür ist aber sicherlich, dass der Fahrer dabei keine allzugroßen Schlenker oder gar Riesenslalom fährt. Dennoch ruft diese Instruktion wohl eher die eben genannte Reaktion hervor. Wenn ohnehin zwei Kästen genutzt werden müssen, dann ist die Instruktion mit „Fahr von dem einen zum anderen Kasten“ doch wahrscheinlich völlig ausreichend.
  • 6) Der geschummelte Flieger, fällt natürlich in das koordinative Variationstraining und somit in die Olympiade. Warum der Flieger? Weil früher jemand darauf gekommen ist „stomach on seat“ zu fahren? „Weil wir das schon immer so machen?“ Wenn also damals jemand „face on seat“ gefahren wäre, würde dann heute statt dem geschummelten Flieger stehen, dass der Fahrer sein Gesicht auf den Sattel drücken muss?
  • 7) Hand an der Sattelstange. Zählt auch zum koordinativen Variationstraining und somit in die Olympiade.
  • 8 und 9) Kreis fahren. Beide Richtungen finde ich gut. Nur das Problem mit der Linie, siehe oben. Bei falscher Ausführung der Kreisfahrt schleichen sich die ersten Bewegungsfehler ein (und verhindern u.a. alle folgenden Tricks im Kreis, insbesondere natürlich den Spin). Rudern die Arme? Ist der Oberkörper verwringt? Die Hüfte rotiert? Alles Bewegungsfehler gegenüber der Hüfttranslation, die auch ein sauberes und unbeschadetes Weiterlernen ermöglicht. Die aufgezeigten Fehler erfordern nur ein unnötiges Umlernen. Warum also nicht gleich richtig lernen? Aber hier wird jede gezeigte Ausführung sogar belohnt.
  • 10) 1ft ext? Ernsthaft? Selbst ich tue mir dabei zuweilen schwer (mehr weil ich den Trick nie brauche und deshalb nie fahre) aber dann soll ein ‚blutiger‘ Anfänger sich direkt damit rumschlagen? Da ist der 180 Unispin einfacher (den bringe ich Jungs im Skatepark, die noch nie Einrad gefahren sind innerhalb von 5 minuten bei). Ok, das war jetzt ein wenig übertrieben in Bezug auf den Talentwettbewerb (aber auch nicht falsch).
    Also ich denke schon, damit ist das Einbein fahren gemeint. Aber was ist mit Wheel-Walk oder Rodeo? Das sind für den Freestyler die ersten Tricks, je nach Lerntyp sucht er sich aus, mit welchem von den Tricks er damit anfängt. Ok, Rodeo taucht im Talentwettbewerb 2 später nochmal auf, kann man sich überlegen, die drei ‚ersten‘ Freestyle Tricks in den Talentwettbewerb zu verschieben. Aber Wheel-Walk kommt garnicht mehr.

Station 2:

  • IUF Slalom in entschärfter Version ist super, solange hier nicht die Zeit sondern das Erreichen des Ziels das Ziel ist. Wobei sich mir der Sinn in Bezug auf das Kürfahren nicht erschließt.

Station 3:

  • 10m auf einer Bahn mit 30cm Abstand. Ist so ziemlich der dümmste Test, der es in die damaligen Skill-Levels geschafft hat und auch für den Talentwetbewerb übernommen wurde. Es handelt sich hierbei um normales Fahren. Hier werden die Fahrer nur wieder darin geschult, den Blick nach unten zu senken, um über das visuelle Feedback die „korrekte“ Ausführung während der Fahrt zu überprüfen. Für den Rest siehe oben.

Station 4:

  • Die Talentwettbewerbe fokussieren bisher die Freestylespezifische Technik und damit die koordinativen Fähigkeiten jeder Fahrer. Nun schleicht sich mit dem 50m schnell fahren die konditionell-koordinative Fähigkeit Schnelligkeit ein. Eine Ausprägung dieser Fähigkeit würde also eher in ein Renntraining passen, bei dem auch mit den geeigneten Trainingsmethoden angewandt werden (sollten). Einzig der koordinative Anteil würde eine Eingliederung in die Talentwettbewerbe rechtfertigen. Das ist aber im Vergleich zu den anderen getesteten Techniken bezuglos. Die 50m schnell im Talentwettbewerb sind hier deplatziert.

Talentwettbewerb 2 (grün)

Refrenzblatt

Station 1:

  • Die Tricks hier sollen in verschiedenen Raumwegen ausgeführt werden, das macht Sinn. Es werden auch einige Vorschläge gemacht. Das ist gut, es sollte aber bei Vorschlägen bleiben und keine Verbindlichkeit sein, diese zu nutzen (ist nicht ganz klar, was gemeint ist).
  • 2) Rückwärtsfahren: Das war doch schon in Stufe 1, warum jetzt nochmal? Weil davor der Kasten als Start diente und jetzt der freie Aufstieg? Die Ausgangslage für das Rückwärtsfahren an sich ist völlig irrelevant, daher macht diese Redundanz wenig Sinn.
  • 3) Fahren mit Hand/Händen an der Sattelstange: Zählt auch zum koordinativen Variationstraining und somit in die Olympiade. Das gab es auch schon in Stufe 1, warum schon wieder nochmal?
  • 4) Beliebiges Pendeln. Evtl. ist ja hier schon 1ft Idling mit dabei, weil der ein oder andere über zuerst einbeiniges Pendeln und dann das Einbeinfahren gelernt hat. Für die meisten anderen sollte hier das Pendeln mit dem linken oder rechten Fuß gemeint sein. Beides gab es auch schon in Stufe 1.
  • 5) Spin: Mein absoluter Lieblingsfehltritt. In Deutschland kenn ich genau eine Person (Christine Sutschek) die einen ordentlichen Spin fährt. Für die meisten anderen gilt das Prädikat genügend bis passabel und ein geringer Anteil schickt sich an, den Spin gut zu fahren. Nun soll also jemand, der hier womöglich sogar in Stufe 1 eine falsche Kurvenfahrt belohnt bekommen hat einen Spin zaubern? In Japan nachgefragt, die Meister der Spins, dort setzen sie als Trainingszeit für einen Spin 2 Jahre an (japanische 2 Trainingsjahre = Jeden Tag 2h Training). Das entzieht sich vollkommen jeglicher Logik, hier einen Spin zu fordern. Der Spin ist nunmal einer der Tricks der mit zur schwereren Sorte gehört und nicht nur „ein bissjen engen Kreis fahren“ ist. Apropro eine „enger“ Kreis wäre hierfür allerdings super. Bei der Neuentwicklung der Skill-Levels haben wir mit engen Kreis einen Kreis mit maximalen Durchmesser des Basketballkreises genommen (um die 3m Durchmesser), da er in vielen Hallen bereits auf dem Boden ist.
  • 6) 3x Hüpfen vs. 5x Hüpfen: Gibt es dazu einen Testreihe, die besagt, dass hierzwischen ein signifikanter Unterschied besteht im Bezug auf den Lernfortschritt? Wenn ja, wer kann denn nur 3x hüpfen aber nicht 5x – und kann man bei nur 3x hüpfen schon davon sprechen, dass der Fahrer gehüpft ist, statt im Umfallen noch 3x zu dotzen?
  • 7) Die Acht ist doch ohnehin schon durch die Kreise in beide Richtungen aus Stufe 1 ‚abgehakt‘. Dann macht es wiederum Sinn in Stufe 1 den Kreis nur in eine Richtung (egal welche, Schokoladenseite des Fahrers) zu verlangen.
  • 8) Der geschummelte Flieger, schon wieder? Der war doch auch schon in Stufe 1.
  • 9) Einbein Fahren, ja war doch auch schon in Stufe 1 – sogar extended.
  • 10) Pelikan/Flieger: Hat hier nichts verloren, Rodeo ist ausreichend und kommt ja dann auch in (11). Flieger ist fürs Training, Rodeo für einen solchen Test.

Station 2:

  • Nochmal der Slalom, wohl aber etwas verschärft. Der unterschiedliche Aufbau wird aber aus den Erklärungen nicht ganz schlüssig. Hier wird anscheinend nur an der Slalom-Hütchen-Reihe modifiziert. Da macht es durchaus Sinn, über dedizierte Einzeltests zu überlegen. Je atomarer, desto klarer die geprüfte Fähigkeit. Wenn es eh nur um die Slalom-Hütchen-Reihe geht, warum dann noch der Rest vom IUF Slalom?

Station 3:

  • 10m in einer Linie mit 10cm Abstand fahren. Fortsetzung aus dem Test in Stufe 1. Nun, diesmal ist es sogar legitim nach unten zu schauen, denn die überprüfte Fähigkeit ist natürlich das railen. Also, eine klassische Trial-Technik. Warum eine Trialtechnik für Freestyler? Trialer fahren ja auch keine Spins oben auf dem Palettenstapel. Üblich ist hier das Training auf der Bordsteinkante. Für den Versuchsaufbau sollte also eher eine Bank in der Halle umgedreht werden und der Fahrer fährt darüber (Für den Test in Stufe 1, sollte er natürlich auch auf einer Bank fahren, nur sollte diese nicht umgedreht sein). Damit würde dann nämlich auch die korrekte Fähigkeit abgefragt werden und die Feldsituation würde mit der Bank nachgestellt.

Station 4:

  • Siehe Feedback von oben.

Entwicklungsprozess

Ich hatte bei IUF das Committee zur Neuentwicklung der Skill-Levels geleitet (Es ist zwischenzeitlich pausiert, bis die nötigen Ausbildungsbereiche bei der IUF ihre Arbeit aufnehmen). Der Prozess war völlig offen, Diskussionen im Forum bei denen jeder die Entscheidungen nachlesen kann. Das wichtigste aber, war es Feedback einzuholen, das Feedback mit Tests in den Hallen zu testen und mit Sicherheit Entscheidungen zu treffen. Insgesamt waren es 6 Iterationen, ehe die finalen Inhalte fertig waren. Das Feedback war großartig und prägten die Skill-Levels immer genauer aus. Parallel dazu wurden sogar Publikationen erstellt, die das Einradfahren in seiner Skill Struktur erstmalig beschreiben und ordnen und damit auch den wissenschaftlichen Rückhalt der Skill-Levels stemmen. Meine Erfahrungen dazu habe ich an der Unicon in einem Workshop geteilt (Folien, Youtube Video).

Ich kann mir nur wünschen, dass der BDR hier ebenso verfährt. Die Entwicklung kann und soll auch gerne vom BDR betrieben werden, solange sie öffentlich ist und auch Feedback mit verarbeitet wird.
Wurden hier parallel auch noch an Hintergrundwissen geforscht? Gibt es dort auch noch Publikationen? Die oben genannten Publikationen wurden wohl von Seiten der Ersteller der Talentwettbewerbe nicht integriert, sonst sähen sie anders aus.
Gibt es schon Erfahrungsberichte? Ich habe einiges gelernt bei der Entwicklung der Skill-Levels (siehe Video), beim BDR ist man sicher aber auch zu Erkentnissen gekommen, auf die die Welt nur wartet sie zu erfahren. Es ist unglaublich wichtige solches Wissen zu verbreiten, damit sich der Einradsport schneller entwickelt.

Von einem fertigen System kann man hier jedenfalls noch nicht sprechen, bestenfalls von einem Entwurf. Der hier noch ungenaue Reifegrad des Talentwettbewerbs lässt hier allerdings nur Spekulationen zu, derer es nicht wehrt sind hier gestellt zu werden. Eine klare Anweisung vom BDR ist hier mehr als wünschenswert. Am besten mit einer Einladung zum mitmachen.

Training vs. Talentwettbewerb

Eine der immer wieder auftretenden Fragen bei der Entwicklung der Skill-Levels war: „Ist dieser Trick wirklich für die Skill-Levels und markiert einen signifikanten Test?“ oder ist der Trick doch eher nur fürs Training geeignet. Die Frage ist hier auch zu stellen. Ich habe in meinem Feedback darauf hingewiesen, dass einige der Tests sich hier eher als geniale Trainingsmethoden eignen statt als Test für den Talentwettbewerb. In der nächsten Iteration sollte diese Frage als auch zu jedem Test gestellt werden.

Sekundärliteratur

Die Talentwettbewerbe mit ihren Tests sind die eine Sache. Auf der anderen Seite ist das Training. Trainingsmethoden entsprechen im seltensten Fall der Durchführung der Zielbewegungen. Alsdann sollte es dann natürlich auch Literatur für Trainer geben, wie das Training zu gestalten ist, damit es – wie im angesprochenen Fall des koordinativen Variationstrainings – auch seinen Effekt erzielt. Begründungen und einige mögliche Trainingsmethoden (Wie funktionieren sie? Welchen Zweck haben sie) nennen, sollte hier vielen helfen.

Zusammenfassung

Die Idee, mit einem System Fahrer zum Kürfahren heranzuführen finde ich sehr gut. Einige Ansätze in dem vom BDR entwickelten Talentwettbewerb sind auch sehr gut dafür geeignet, insbesondere die Olympiade. Nach meinem Feedback bin ich mir allerdings nicht mehr so sicher, ob das auch wirklich der Zweck des Ganzen ist, oder ob es eine Auswahl (nach welchen Kriterien auch immer) von bekannten Tests ist um Einradfahrer im Breitensport Fuß fassen zu lassen (unter welcher Rubrik es beim BDR auch auf der Homepage läuft).

Meckern muss ich dennoch, insbesondere dass das „wie“ der Bewegungsausführung bei der Testkontrolle ausbleibt ist Betrug am Fahrer und ist auch der gravierendste Fehler an diesem System, sowie die angesprochenen anderen Kritikpunkte. Insbesondere an den vielen Redundanzen sollte gefeilt werden (Aktuell können mit einem Test beide Stufen erledigt werden, dann braucht es auch keine zwei). Von fertig kann man hier jedenfalls noch nicht sprechen. Bestenfalls von einem ersten Entwurf, indem gutes Potential schlummert. Der Zweck und das Einsatzgebiet sind noch unscharf, es sieht im Moment eher nach einer eierlegenden Wollmilchsau in der Identitätskrise aus.

Ich hoffe der BDR nimmt sich hier die guten Gedanken heraus und ruft insbesondere zur öffentlichen Entwicklung auf.