Küraufstellung: Smart and Dumb

Die Aufstellung einer Kür hat sich über die letzten Jahre hinweg nicht wirklich großartig geändert. Die Prozess ist zunehmend gleich geblieben während sich die Inhalte verändert haben. Ziemlich unbemerkt hat sich dieser Prozess asymptotisch zu seinem Zenit geschlichen und damit seine Grenzen zunehmend erschöpft. Großartige Überraschungen sind nicht zu erwarten, es müssen neue disruptive Denkweisen entstehen, die das gegenwärtige auf den Kopf stellen. Hier ist ein Beispiel dafür: Smart and Dumb Way.

Dumb Way

Der gegenwärtige Prozess lässt sich aufgrund seiner Einfachheit als Dumb Way bezeichnen. Ein simples Schema legt den Ablauf fest und der wird eingehalten:

  1. Zuerst wird ein Thema ausgesucht, das für die Kür die wichtigste Rolle hat, Verkleidung ist dabei das wichtigstes Bestandteil. Die Musik scheint dann geeignet, wenn das Wort des Themas sehr häufig im Liedtext auftaucht.
  2. Die Kür wird mit Tricks übervollgestopft, auch wenn diese garnicht zur aktuellen Musikstelle passen oder sich garnicht für die Kür eignen.
  3. Die übrige Zeit wird mit (Standard-)Handbewegungen, die sich auch in anderen Küren finden, aufgefüllt.
  4. Fertig.

Diese Methode folgt der Einfachheit und ist straightforward anzuwenden. Das ist ein klarer Vorteil und ist insbesondere für Küren im Kindesalter ein probates Vorgehen.

Darüber hinaus bietet dieser Prozess allerdings wenig bis keinen Vorteil und entwickelt sich eher zum Nachteil. Hier sind einige Kritikpunkte:

  • Diese Methode ist nützlich, wenn der Fahrer weniger Tricks beherrscht, als Zeit zur Verfügung steht.
  • Im umgekehrten Falle entsteht lediglich ein X-Style mit Kostüm und Hintergrundmusik.
  • Die Körperkunst zum gewählten Thema kann nicht zur Geltung kommen, dafür ist die Vorgehensweise in der falschen Reihenfolge.
  • Für Fahrer die bereits älter sind oder dem Kindesalter schon ein paar Jährchen entwachsen sind beschränken ihre persönliche Entwicklung aufgrund der vorgennanten Argumente:
    • Die Matura der Adoleszierenden wird durch diesen Prozess verhindert.
    • Die Folge sind Heranwachsende, die sich als Kinder präsentieren.
  • Der Fokus bei der Küraufstellung ist auf den unwichtigen Elementen, die wichtigen sind mitunter nichtmal bekannt.
  • Keine kognitiven Elemente, die Recherche-Charakter und Training der Körperkunst beinhalten (daher auch der Name):
    • Bei Küren von Kindern ist das ok, durch ihre tapsigen Bewegungen erhalten sie das Prädikat süß.
    • Bei allen älteren entsteht dadurch Kitsch, aber keine Klasse!

Fazit: Für Kinder super geeignet, für Jugendliche nicht mehr!

Smart Way

Um Kunst und kein Kitsch aufs Parkett zu bekommen bedarf es weitaus mehr. Hierzu muss ein deutlich höherer Anteil an Gehirnschmalz in die Aufstellung der Kür einfließen (daher der Name). Die Vorgehensweise sollte helfen dieses zu verdeutlichen, hier ist der grobe Ablauf:

  1. Das Setting bestimmen:
    Was soll durch den Körper vermittelt werden? Eine bestimmte Theatralik? Emotionen? Ein bestimmter Tanz? Nur blos kein Thema!
  2. Aus dem Setting leitet sich die Musik ab.
  3. Die Musik wiederum gibt Tempo, Dynamik und Struktur vor. Wege und Bewegungsebenen werden in diesem Schritt geformt:
    Tempo muss nicht zwingend über die Fahrgeschwindigkeit wiedergegeben werden. Z.b. können bei schneller Musik und langsamer Fahrgeschwindigkeit Bewegungen im Oberkörper die Dynamik transportieren.
  4. Setting-spezifische Bewegungen für Körperkunst:
    • Welche Stelle in der Musik wird durch welche Bewegung umgesetzt? Was bedeutet der Ton in der Musik? Welche Bewegung bietet sich an um diesen Ton umzusetzen?
    • Hier kommt die große Recherche ins Spiel. Teilweise bietet das Setting eine Vorlage an Bewegungen, manchmal aber auch garnicht. Spätestens an dieser Stelle hilft es, das Einradfahren zu verlassen und sich in anderen Feldern umzusehen.
      • Bei Theatralik helfen Theater und Schauspiel, z.B. Stummfilme mit Charlie Chaplin oder auch Clowns aus dem Zirkus
      • Bei Tanz gibt es genügend Vorlagen und Inspirationen
      • Bei Emotionen hilft der Spiegel 😉
    • Viele Bewegungen finden, ausprobieren, kopieren und auf’s Einrad transferieren. Es sind viele Bewegungen die es nicht in die finale Kür schaffen werden, es ist viel Ausschuss dabei, das ist beabsichtigt. Quantität schafft Qualität an dieser Stelle. Die Mühen sind nichtmal vergebens, so steigert es dennoch das Bewegungsrepertoire des Sportlers.
    • Es ist sinnig solche Bewegungen bereits im Schritt 3 mit auszuprobieren um ein Gefühl zu bekommen, welche Bewegungen sich eignen/funktionieren und welche nicht. Christoph Hagel (Flying Steps, 2018, 1h4m) bringt es auf den Punkt: „Wir haben über die Bewegungen, die einzelnen Bewegungen […] teilweise sehr lange diskutiert, also es gibt Sachen da haben wir drei Wochen lang nichts gefunden… Ja und dann fing es langsam an“
    • Die Bewegungen, die die größte Wirkung haben sind zumeist auch solche, die einen enormen (im Vergleich zu sonst lappalischen (Arm-)Bewegungen) Kraftaufwand und/oder kinematische Bewegungensketten in der Umsetzung erfordern und sich damit beispielsweise gegen eine gewohnte Trickausführung stellen. Viele Fahrer wenden sich daher bereits im Vorfeld davon ab. Aber genau darin liegt die Beharrlichkeit und das Bestreben nach Exzellenz (was den Sport und Einrad-Freestyle per so ausmacht), da muss man als Sportler durch.
  5. Zum Schluss überlegen welche Tricks an welche Stelle passen. Sich auch in diesem Schritt die Frage stellen, welche Tricks welchen Ton umsetzen.
    • Manche Bewegungskunst kann durch Tricks unterlegt werden, um die gezeigte Ausführung in der Komplexität zu steigern.
    • Manche Stelle in der Musik lässt sich durch einen Trick besser umsetzen als durch Bewegungskunst.
    • Die Tricks passend wählen (und wenn es an dieser Stelle der Wheel-Walk ist). Nicht aber – auf Teufel komm raus – eine Trickliste in die Kür reinhämmern.
    • Wichtigste Regel ist hierbei, das Setting niemals durch Tricks den Rang abzulaufen. Die Umsetzung des Settings ist der rote Faden. Dieser kann kurz fallen gelassen werden, wenn der Trickausflug so atemberaubend ist, dass das Publikum den roten Faden kurzzeitig vergessen kann oder der Tricksausflug so getimt ist, dass ein Aufnehmen des roten Fadens danach nicht störend ist.

Zusätzliche Anmerkungen:

  • Dem Zuschauer Zeit zum durchatmen geben: Trickfeuerwerk ist genauso zu vermeiden wie penetrante Körperkunst. Glücklicherweise kann das eine zur Erholung des anderen genutzt werden.
  • Normal Fahren ist völlig ok! (Aber dann bitte mit Körperkunst)
  • „Aber, aber… ich muss den Trick da reinmachen, sonst bekomm ich das doch nicht ordentlich gewertet“. NEIN! Diese Aussage ist der Kürzerstörer 5000 unter den Argumenten für ein Trickfeuerwerk in Küren.
    Es gibt dieses Kriterium (im aktuellen Regelwerk), bedeutet es doch: Mehr Tricks = Bessere Kür. Eine andere Regel besagt, dass es ein harmonisches Gleichgewicht zwischen Tricks und Körperkunst geben soll – welche Regel ist wohl sinniger? Solche Inkonsistenzen hinterfragen und logisch einordnen. So wird man auch zu dem Schluss kommen, dass die Quantity and Variety of Unicycling Skills and Transitions keinen Nutzen hat und nur existiert, da das Mysterium um die Schwierigkeit noch nicht geklärt ist. Dieses Kriterium steht nur – und zwar NUR – für Wertungsrichter im Regelwerk. Es ist einfach zu zählen, also wird es gemacht, damit wird die Jury mit einem guten Gewissen für korrekte Arbeit besänftigt wird.
    Im Zweifel auf Batman hören:

Dringend erforderlich ist es, nicht mehr von Präsentation zu sprechen, denn das macht der Moderator der Veranstaltung, er präsentiert den nächsten Starter oder in der Schule/Studium, wenn die Powerpoint gezeigt wird. Der Sportler hingegen zeigt Artistik oder Körperkunst – zugegeben, der _neue_ Begriff Performance erledigt seine Arbeit eher suboptimal. Einige werden aus Gewohnheit weiterhin von Präsentation sprechen, dieser Begriff lässt sich aber als Red Flag einordnen.

Der Schritt von Dumb nach Smart Way ist natürlich riesig. Die meisten Trainer und Fahrer sind wahrscheinlich mit der einfachen Methode weitestgehend zufrieden, die hier angsprochenen Limitierungen sollten helfen, dieses Vorgehen zu überdenken und den nächsten Schritt zu wagen. Methoden für Zwischenschritte sind kaum bekannt – wer doch etwas kennt, der ist hiermit aufgefordert das zu teilen.

Zusammenfassung

  • Grips einschalten!
  • Dumb way für Kinder
  • Smart way für Kunst
  • Dazwischen? Offen kommunizieren, teilen und diskutieren 🙂

Literatur

  • Flying Steps (2018). Flying Revolution: The Story of a Lifetime Battle. [DVD-Video]. Sony Pictures Home Entertainment.