Freestyle in Deutschland –- Qualiwettkämpfe, ja oder nein?

Die Zahl der Freestyler in Deutschland nimmt rapide zu, ein sehr gutes Zeichen für unseren Sport. Zugleich generiert es auch ein Luxusproblem, allen Fahrern einen geeigneten Wettkampf zur Verfügung zu stellen, auf dem die Leistungen adäquat verglichen werden können. Das ganze soll auch nicht länger als ein Wochenende dauern – zu voll soll der Wettkampf auch nicht sein. Gleichzeitig soll es aber auch für Nachwuchsfahrer einen guten Einstieg in das wettkampfbetonte Einradfahren bieten. Hinzu kommt die Anpassung dieser Systeme an die Mentalität und Kultur des Einradfahrens.

Voraussetzungen und Randbedingungen

Hier die markantesten Voraussetzungen und Randbedingungen, es gibt aber sicher noch mehr.

1. Standorte und Fahrerverteilung

Bevor hier Lösungen vorgestellt und diskutiert werden können, sollte man sich erstmal einen Überblick über die aktuelle Situation verschaffen um Rahmenbedingung zu eroierieren, denen Lösungsansätze entsprechen müssen. So ist zunächst die Verteilung der Freestyler auffallend. Eine genaue Erhebung lässt sich hier nicht durchführen, hingegen ist hierbei nur von groben Schätzungen auszugehen. Auffallend ist, dass es keine flächendeckende Besiedelung durch Freestyler gibt. Hingegen können hier bestenfalls Ballungsgebiete ausgemacht werden und die Dichte lässt sich sehr grob abstecken. Die drei dicht besiedelsten Regionen sind daher meiner Meinungen nach:

  1. Schleswig-Holstein
  2. Bayern (der Süden)
  3. Nordrhein-Westfalen

Einzelne Fahrer und einzelne, auch größere Vereine gibt es verteilt im Rest Deutschlands, wobei es auch größere Unbesiedelte Gebiete gibt. So sind die Fahrtechnischen Niveaus vom Basiskönnen natürlich überall vertreten, für die Topfahrer setzt sich hier der Satz „Quantität schafft Qualtität“ durch.

Hier die Unicon 16 Teilnehmer aus Deutschland:

2. Verbände

Natürlich spielen die Verbände auch eine Rolle. Jedoch spielen sie bei dem Suchen einer Lösung eine untergeordnete Rolle. Dabei geht es nur um die Fahrer und ihren Standort. Versucht sich hier ein Verband an einem Alleingang, wird das wohl nicht im Sinne aller Einradfahrer sein, so eine Lösung ist von vorneweg zum Scheitern verurteilt. Ein gemeinsames Erarbeiten von Lösungen ist nicht nur gewollt, sondern unabdinglich und im Sinne der Einradfahrer.

3. Wettkampfergebnisse, Judges und Judging-System

Aufgrund der aktuellen Qualität der Judges und dem Freestyle Judging-System sind Wettkampfleistungen von verschiedenen Wettkämpfen nicht miteinander vergleichbar.

4. Testen! Testen! Testen!

Egal welche Lösung und welches System als erstes gefunden werden, kann definitiv noch nicht von einem funktionierenden System gesprochen werden (so toll es sich auch auf dem Papier darstellen möchte). Das System muss danach erst noch in der Praxis erprobt werden und mit Erfahrungen verfeinert oder sogar verworfen werden. Solche gefundenen Lösungen können nur als Test angepriesen werden, dass man gerne am Feedback der Fahrer interessiert ist, um das System zu verbessern.

Qualifikations-Modelle

Hier sollen einige Modelle diskutiert werden, die bereits in Anwendung sind, aus anderen Sportarten bekannt sind oder sogar gerade getestet werden. Modelle deswegen, da sie nur als Kandidaten für ein fertiges System gelten, aber noch keineswegs eine fertige Lösung darstellen. Für Korrekturen bin ich dankbar, ist mir hierbei ein Fehler unterlaufen.

1. Traditionelles Modell

Bekannt aus den etablierten Sportarten in der sich die besten Sportler von Lokalen über Regionalen Gebieten zur nächsthöheren Instanz qualifizieren und letztlich an der deutschen Meisterschaft antreten.

Kritik

Dieses System lässt sich in Deutschland nur sehr schlecht umsetzen, da zum einen nicht die nötige Dichte gegeben ist, zum anderen da die Wettkampfergebnisse nicht ausreichend Güte besitzen um aus zwei (oder mehr) verschiedenen Wettkämpfen die besten Einradfahrern zu bestimmen.

2. Deutsche Meisterschaften und Nachwuchswettkämpfe

Ob als Folge des nicht funktionierenden traditionellen Modells, etablieren sich zunehmend Nachwuchswettkämpfe. Für die Fahrer bleibt die Wahl, ob sie sich zur deutschen Meisterschaft und/oder zu einem Nachwuchswettkampf anmelden. Oftmals obliegt die Entscheidung auch beim Trainer, der den Wettkampf aussucht, der Fahrer bleibt mitunter im kompletten Unwissen.

Kritik

Die Kriterien für die deutsche Meisterschaft sind nicht vorhanden. Es gibt keine Richtlinie die bescheinigt, welcher Wettkampf für welchen Fahrer geeignet ist. Eine sehr, sehr wage und schwammige Grauzone. Neben dem Abwägen des Niveaus durch Trainer, sind es sicherlich auch Bauchentscheidungen, die für den ein oder anderen Wettkampf sprechen…

3. Regio-Cups

Wird derzeit in Schleswig-Holstein getestet. Fahrer können sich entscheiden, ob sie am Regio-Cup teilnehmen oder an der SH-Meisterschaft. Regio-Cup Teilnehmer hingegen dürfen weder an der größeren/Niveaureicheren SH-Meisterschaft noch an der deutschen Meisterschaft starten (Gruppenküren sind ausgenommen). Die Regio-Cups übernehmen also die Nachwuchswettkämpfe in diesem Fall und werden auch Anfängerwettkämpfe genannt.

Kritik

Ich hatte Kirsten Häusler noch vorab per Mail nachgefragt, ob mein Text zum Regio-Cup richtig ist. Sie konnte noch etwas ergänzen, außerdem hat sie einen Satz mitgeschickt, den ich hier gerne zitieren möchte: „Sehr positiv bei den Regios ist, dass neue Vereine oder Einradgruppen sich ehr trauen mitzumachen und dadurch wächst unsere Einradgemeinschaft.“

Hier wäre vor Allem das Feedback der Fahrer interessant, wie diese Teilung ankommt. Ich kann mir vorstellen, dass nicht alle damit zufrieden sind, wegen ihrer Gruppenkür und deren Fahrern zwei Veranstaltungen zu besuchen. Ich persönlich sehe da weniger ein Problem, außerdem sollte es ja das Ziel sein, bei wettkampforientiertem Training an Veranstaltungen teil zu nehmen. Da es ja in SH ist, ist es zudem nicht weit auseinander.

4. Aufteilung nach Disziplinen

Ein Modell, dessen genaue Ausführung mir nicht bekannt ist. Gefunden habe ich es in Japan. Die japanische Meisterschaft nennt sich AJUC (All-Japan Unicycle Championship). Der Name lässt vermuten, dass es auf geographisch kleinerer Region bereits Wettkämpfe gibt (ähnlich einer NRW- oder Bayrischen Meisterschaft). Der interessantere Punkt ist aber, dass es die AJUC für PG (Pair und Group) und Individual gibt. Auf der einen Meisterschaft werden nur Paar- und Gruppenküren gefahren, auf der zweiten nur Einzelküren.

Kritik

Das entlastet das Wettkampfwochenende ungemein, die gezeigten Küren werden einfach auf mehrere Wochenenden verteilt. Ich denke, für Deutschland bietet sich sowas auch an. Für den ersten Schritt ist eine Trennung von Küren und Standard-Skill auf zwei Wochenenden sinnvoll.

5. Niveauvorgabe

Einst wurde mit den Skill-Levels das wachsende Teilnehmerfeld versucht zu kontrollieren. Die Idee war garnicht so schlecht, die Skill-Levels zu nutzen war von vorneherein ein Reinfall, an dem der BDR aber lange festgehalten hat. Schlauer ist es hier für jeden Wettkampf individuell das Niveau vorzulegen. Eine Trickliste etwa die grob einen Lernfortschritt klassifiziert.

Eine maximale Niveauvorgabe? Sowas habe ich gehört, sollte in jüngster Vergangenheit der Fall gewesen sein. Bei einem Wettkampf soll das maximale gezeigt Niveau definiert worden sein. Wenn es beim Sport darum geht, sein bestes zu zeigen um es dann seinen Teilnehmern zu verbieten – sorry, aber wie bescheuert muss man sein?

Kritik

Die Niveauvorgabe durch Tricklisten stellt nur 50% der gezeigten Leistung im Einrad-Freestyle dar. Was ist mit Artistik? Mir selbst fällt (auch nach längerer Überlegung) keine Möglichkeit ein, hier vorab ein Kriterium hierfür festzulegen. Die Verifizierung der Niveauvorgabe fällt auch wieder auf den Trainer zurück, wie genau ist dann die Einhaltung der Niveaukriterien zu sehen, wenn ein Trainer sein(e) Fahrer doch zum Wettkampf schickt?

Dadurch, dass es gerade mal 50% der gezeigten Leistungen adressiert, eliminiert sich diese Modell als mögliches System selbst.

6. Expert- vs. Altersklassenwettkampf

Eine Durchführung, wie es der BDR seit einigen Jahren auf seiner deutschen Meisterschaft praktiziert. Fahrer melden sich für Expert oder Altersklasse an, soweit keine Überraschung. Die Expert Fahrer müssen sich am Wettkampf in Junior und Senior für das Finale qualifizieren. Die besten sechs aus jeder Startgruppe starten dann nochmal.

Kritik

Für Junior und Senior wird jeweils eine Jury eingesetzt um den Umstand zu umgehen, dass Juryergebnisse von zwei unterschiedlichen Zusammensetzungen nicht miteinander vergleichbar sind. Das wirft natürlich aber auch die Frage auf, ob die ersten und letzten Ergebnisse gleichermaßen validieren, oder ob die Jury am Ende wegen Konzentrationsproblemen „schon eingeschlafen“ ist.
Der Überraschungseffekt einer Kür wird natürlich auch im Falle einer zweiten Fahrt eliminiert.

Das Finale sollte der Anmeldung in Expert entsprechen und widerspricht der etablierten Mentalität sich für Expert bzw. Altersklasse anzumelden – aber man muss ja auch neue Wege gehen. Die am Wettkampf stattfindende Qualifikation sehe ich also mit gemischten Gefühlen.

Die Altersklassenwettkämpfen erfahren eine Degradierung ihrer Wertigkeit und sind damit nur noch als Zwischenstufe zwischen deutscher Meisterschaft und Nachwuchswettkampf zu sehen, aber das ist sicherlich damit beabsichtigt.

7. Länderpokal

Von der BDR Website: „Jedes Bundesland entsendet eine Ländermannschaft, zusätzlich werden Mannschaften aus dem Ausland eingeladen.  Pro Mannschaft maximal 13 SportlerInnen, minimal 8 SportlerInnen.“

Kritik

Mündliche wurde mir erklärt, dass es bei dieser Veranstaltung darum geht, das Freestyle einem großen Publikum zu zeigen. Eine große Halle, mit viel Publikumsrängen, denen dann ein hochkarätiger Wettkampf geboten werden soll. Ich finde auch, dass Freestyle ein riesiges Potential hat um dem Publikum gezeigt zu werden und damit auch unterhaltsamer und anspruchsvoller sein kann als viele andere Sportarten, nur sehe ich das Potential von den Fahrern derzeit noch nicht genutzt (im besonderen Artistik und Bewegungsqualität), aber das ist ein anderes Thema – ich schweife ab.
Der Hintergrund wird also nicht kommuniziert. Der Zweck wird verschleiert. Geht es darum Freestyle einem großen Publikum zu präsentieren oder einen hochkarätigen Wettkampf zu etablieren? Beides? Der erste Fall könnte auch über eine gut Choreographierte Gala Show im Sinne von Holiday-on-Ice spektakulär in Szene gesetzt werden. Alle teilnehmenden Fahrer üben daheim einen Teil der Choreographie, die an gemeinsamen Trainings zusammengefügt werden – nur so eine Idee.

Der Wettkampf selbst hat natürlich auch einen groben Fehler in der Konzeption. So darf die „Landesnationalmannschaft“ aus 8-13 Fahrern bestehen. Dadurch, dass wir in Deutschland aber Ballungsgebiete haben, sind zum Beispiel in SH oder NRW mehr als 13 gute Fahrer, andere weniger dicht besiedelte Gebiete (z.B. Meck-Pomm) können auch 13 Fahrer schicken (wenn es denn so viele gibt). Im Moment ist das Niveau dazwischen nicht ausgeglichen.

Fazit

Ich halte keines der hier vorgestellten Modelle für zukunftsweisend, allerdings sind viele gute Ideen enthalten. Auffallend ist, dass gewisse Splits gemacht werden, das erlaubt einen willkommenen Spielraum. Auch das Regelwerk (darauf bin ich bisher nicht eingegangen) hat definitiv noch Lücken und verhindert im Moment noch einige bessere Lösungsideen, genauso wie eine angemesse Ausbildung der Judges. Das sind Basispfeiler die eine (noch utopisches) Wettkampfsystem in Deutschland erlauben. Für die nächsten Jahre werden sich Übergangslösungen etablieren. Damit werden wir Fahrer nicht zufrieden sein, ich hoffe die Verantwortlichen der Verbände auch nicht, wir Fahrer (und Betroffene) werden meckern und schimpfen und das ist auch gut so, ob die Verbände darauf reagieren ist nicht gewiss.

Ein Lösung und auch eine vernünftige Übergangslösung kann jedenfalls nur erreicht werden, wenn die Verbände hier zusammenarbeiten und die Fahrer in den Vordergrund stellen und sich selbst bei der Findung einer Lösung heraushalten, da alle deutschen Einradfahrer einen Anspruch darauf haben und nicht nur die Fahrer, die in der eigenen Farbe angemalt werden. Vielleicht wird es möglich sein, auch schon während der Übergangslösung eine gemeinsame deutsche Meisterschaft zu haben? Ich wünsche es mir und alle Einradfahrer mit denen ich spreche auch, allen (mich eingeschlossen) stinkt diese Spaltung gewaltig. Sollte eine gemeinsame Lösung nicht zustande kommen, so sind alle an den Gesprächen beteiligten Personen schuld. Schuld deswegen, sich nicht genug angestrengt zu haben, miteinander zu arbeiten. Schuld deswegen, sich auch trotz der gegeben Vergangenheit sich nicht zu überwinden zusammen zu arbeiten. Und nein, die IUF ist nicht der Babysitter dafür.

In einer finalen Lösung, irgendwann in der Zukunft, sehe ich, dass die Wertungen von verschiedenen Wettkämpfen miteinander vergleichbar sind und das die Wertungen auch auf die erbrachten Leistungen der Fahrer zurück gehen. Das erfordert ein neues Judging-System und eine gute Ausbildung für die Judges. Daran arbeite ich seit Jahren die Hintergründe auf und mache damit weiter; gebe es auch an Andere weiter. Damit lassen sich ganz andere Lösungen für die Situation in Deutschland finden.